Ich habe meinen Job aufgegeben, einerseits aus gesundheitlichen Gründen, andererseits durch erhebliche Differenzen mit meinem Arbeitgeber. Ich hatte die letzte Zeit sehr mit meinem Kreislauf zu kämpfen. Ständig wurde mir schwindlig und manchmal sogar „schwarz vor Augen“. Meine Ärztin schrieb diese Probleme Psychosomatischem Stress zu und ich wage Ihr Urteil auch nicht anzuzweifeln. Ich habe vorsorglich meine Arbeit als Kraftfahrer niedergelegt, in der Hoffnung durch ärztliche Therapiemaßnahmen die Sache wieder ins Lot zu bringen. Ich habe mich ins Leergut versetzen lassen, zu meinem Bruderherz. Die Tatsache, dass mein Bruderherz und ich mehr Spaß hatten, als der Rest der Belegschaft, stieß wohl nicht gerade auf Wohlwollen. Erst verpassten sie mir Zwangsurlaub und ließen meinen kleinen Bruder alleine die ganze Arbeit verrichten. Sie setzten ihn unter Druck, wenn er dies und jenes nicht schafft, müsste er um seinen Job bangen. Ich habe meinen Urlaub abgebrochen und bin schon 2 Tage später wieder zur Arbeit gegangen, um meinem Bruder zu helfen. Ich glaubte an eine Intrige, die meinen Bruder kaputt machen sollte. Denn wenn er wieder durch seinen Rücken krank werden würde, wäre er entlassen worden. Es wurde nicht gern gesehen, dass ich meinen Urlaub abbrach und mir wurde gesagt, dass ich den Urlaub nicht zurückgerechnet bekomme. Nachdem ich ihnen sagte, dass es mir scheißegal wäre und ich meinen Urlaub nicht der Firma wegen abbrach, sondern um meinem Bruderherz unter die Arme zu greifen, trennten sie uns wenig später. Ich musste in die Halle zur Kommission und mein Bruder blieb im Leergut. Es war wie Knast, ein Zwinger, 25.000 m² umgeben von Wänden aus Stahl. Ich merkte, wie mein Innersten begann so langsam einzugehen. Ich quälte mich nur von Pause zu Pause bis zum Feierabend. Dann gab es wieder Ärger, weil ich meine Pausen zeitlich so legte, dass sie mit den Pausen meines Bruders zusammenpassten. Wir haben uns dann ins Auto gesetzt, geredet, Musik gehört und eine geraucht. Der Chef persönlich hat uns aus dem Auto geholt und gefragt, warum wir unsere Pausen nicht im Pausenraum machen, er sei schließlich dazu da und warum wir die Pausenzeiten nicht einhalten. Ich fing innerlich an zu kochen. Es ist schon Strafe genug, eingesperrt in einem Würfel aus Stahl den ganzen Tag diese Kollegen um mich herum zu haben, da will ich zur Pause keinen dieser Leute sehen. Man könnte meinen, dass ich meine Kollegen nicht leiden könne, dem ist aber nicht so. Ich bin ein Einzelgänger und werde das auch immer bleiben. Größere Menschenansammlungen sind mir ein Graus. Wie dem auch sei, sie steckten mich dann in eine andere Schicht als meinen kleinen Bruder. Aus war es mit den Pausen, dem Spaß, was sich auch auf meine Arbeitsmoral und meine Leistung niederschlug. Als dann der Spruch von meinem Abteilungsleiter kam, ich solle den Finger ziehen und mind. 1.600 Kisten in der Schicht machen, war der Zeitpunkt gekommen. Ich sagte allen, sie sollen mich mal am Arsch lecken und bin gegangen. In der darauffolgenden Nacht habe ich meine Kündigung geschrieben und in die Post gesteckt. Ich habe seitdem diese Firma nie wieder betreten.
Ich weiß nicht, ob diese Entscheidung richtig oder falsch war, auf alle Fälle war sie notwendig. Wenn ich den Job behalten hätte, wäre ich wohl daran kaputt gegangen. Mein kleiner Bruder hat dies mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Einerseits hat es ihn gefreut, dass ich den Schritt gewagt habe und die, Zitat: „Scheiße endlich hinter mir habe“. Aber wehmütig war ihm doch, da er jetzt keinen mehr in der Firma hat, der ihm den Rücken stärkt. Auf die Idee, mir etwas Neues zu suchen, bin ich schon sehr oft gekommen, nur hatte ich irgendwie nicht so den richtigen Antrieb. Immer wenn ich dachte, es geht nicht mehr, ich brauche etwas Neues, schwirrten im Hinterkopf immer wieder die Gedanken herum: Wo und was und wenn es nicht klappt...? Es wird schon irgendwie gehen.
Ich stehe vor dem Nichts. Jetzt kann ich nicht mehr sagen: es wird schon irgendwie gehen. Jetzt muss ich sagen: es MUSS gehen! – schon meinem Bruder wegen. Es sieht nicht gut bei uns aus. Die Finanzen sind knapp, die Rechnungen stapeln sich und im Tank ist auch fast nichts mehr. Meine Welt bricht langsam zusammen. Vieles, was damals noch alltäglich war, entwickelt sich langsam zu Luxus. Ironischerweise muss ich immer an den Satz denken, in dem wir unsere Welten vereinen wollten. Das sollte aber eigentlich genau andersherum geschehen. Nicht meine Welt an seine, sondern die Welt meines kleinen Bruders an meine. Hmmm... damit wird wohl so schnell nichts mehr und mein Bruderherz macht sich selbst große Vorwürfe. Er glaubt, wenn ich nicht ständig ihm Geld geben würde, würde ich jetzt auch besser dastehen und es tut Ihm leid, dass er mich so weit mit reingerissen hat. Eigentlich Irrsinn aber er denkt nun mal so. Schlussendlich bin ich ihm gegenüber zu nichts verpflichtet. Alles, was ich mache, mache ich aus eigenen Stücken heraus, niemand zwingt mich dazu und ich bin auch noch nicht fertig mit tun und machen. Bis nächstes Jahr habe ich das Geld zusammen, um meinen kleinen Bruderherz den Führerschein für LKW zu sponsern und dann... Vielleicht werden wir das Land verlassen und auf große Fahrt gehen.
Auch wenn jetzt Nacht zu werden droht in unserer beider Welten, der nächste Sonnenaufgang wird kommen... es wird unser Aufgang...