Geflügelte Krieger...
Der "Kern", Alles, was mich ausmacht, meine Gedanken, meine Logik, meine Gefühle, was ich sage und tue, komprimiert auf die Größe eines Sandkorns. Er ist umgeben von einer Welt, paradox in ihren Attributen, unlogisch und doch faszinierend, kalt und trotz allem aufregend, voller Freuden und dennoch leblos, ja fast sogar tot. Eine Welt, in der so gut wie Alles möglich ist. Eine fast grenzenlose Welt, weit und raumgreifend und doch findet sie Platz in einer Streichholzschachtel. Sie ist in Gefahr, meine Welt. Der Verlust meiner Freunde erschütterte meine kleine Welt und ließ sie auseinanderbrechen. Immer mehr Staub legte sich auf die Ruinen ihrer Selbst, während die Schatten kontinuierlich Besitz von ihr ergriffen. Ich hatte nicht die Kraft, sie zu beschützen. Ich fegte die Trümmer zusammen, fügte Wut, Trauer und Verzweiflung hinzu und erschuf so die Mauer der Unberührbarkeit, welche sich schützend um den kläglichen Rest meiner kleinen Welt zog. Während das Leben um mich herum seinen gewohnten Lauf nahm, baute ich die Mauer zu einer wahren Festung aus. Nichts und Niemand hat sie seither durchdringen können, nicht einmal das Schicksal selbst - bis zum August 2005...
An dem Tag, an dem der erste Kontakt zu meinem kleinen Freund zustande kam, wusste ich, die Zeit ist gekommen. Seither stand meine Festung unter Beschuss. Trotz allem Widerstand meinerseits musste ich zusehen, wie die Mauer täglich schwächer wurde und schlussendlich nachgab. Immer mehr Licht flutete meine Welt und umwehte den Kern. Ich suchte die Nähe zum Licht und fing an, es zu vermissen, wenn ich es nicht fand. Wie in Trance umschwirrte ich es, wie der Nachtfalter die offene Flamme einer Kerze, wohlwissend, dass dieses Licht mein Untergang sein wird.
Anfang Dezember, als wir dieses erschütternde Gespräch führten, fiel die Festung im Reich der Schatten. Niedergerissen von einem Krieger, stärker als das Schicksal selbst - mein kleiner Freund. Er hat geschafft, was acht lange Jahre von Vielen vergebens versucht wurde. Meine Welt ist frei, und was eigentlich ein Grund zur Freude ist, ist das, wovor ich die größte Angst hatte und immer noch habe. Nun liegt meine Welt schutzlos in seinen Händen. Sie verändert sich, unaufhaltsam passt sie sich seinem Leben an. Jeder Gedanke, jede Handlung, einfach Alles. Das macht ihn so unentbehrlich für mich, denn ich bin eher ein Denker und Diplomat, kein Kämpfer mehr. Ich habe das Schwert schon vor vielen Jahren gegen den Olivenzweig eingetauscht. Meine Waffen sind vielmehr meine Gedanken und das geschriebene Wort. Er ist jetzt der tapfere Krieger an meiner Seite, der mich und meine kleine Welt beschützt und bereit ist, dem Schicksal die Stirn zu bieten. Sicher werde ich irgendwann wieder den Mut aufbringen können, das Schwert aufzunehmen und dem Schicksal entgegenzutreten. Im Moment jedenfalls, liegt meine Zukunft und die meiner Welt in seinen Händen. Sollte ich ihn jetzt verlieren, wird meine Welt unweigerlich in sich zusammenbrechen und dann wird niemand da sein, um mich aus den Trümmern zu ziehen...