Affenzirkus
Meine Zeit bei der Bundeswehr, ich denke oft daran zurück. Es war eine schwere Zeit. Fernab jeglicher 'Zivilisation' wie ferngesteuert durch den Schlamm zu robben und auf alles zu reagieren, was einem zugebrüllt wurde. Man könnte mich fragen, warum ich mich denn überhaupt zum Bund gemeldet habe... Ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht mehr, was mich da geritten hat.
Ich war doch etwas überrascht, als das Schreiben kam. Am 1. 11. 2000 bin ich eingerückt. 10 Uhr, Werratal-Kaserne Bad Salzungen (bei Erfurt in der Nähe), viereinhalbe Stunden Zugfahrt von meiner Heimatstadt entfernt. Ich fühlte mich, wie auf der Fahrt zum jüngsten Gericht. Mein erster Tag, mein erster Anschiss und nur weil ich bei der Aufnahme gelangweilt mit den Händen in den Taschen an der Wand lehnte. Mein Haarschnitt passte denen auch nicht und ich hasste sie dafür.
Meine medizinische Einstellungsuntersuchung war auch der absolute Brüller. Nachdem sie uns nach Gera ins Bundeswehr-Zentralkrankenhaus gekarrt hatten, konnte die Show beginnen. Jetzt galt es, das penibel während der Fahrt zusammengeklempnerte Programm in die Tat umzusetzen. Im Behandlungsraum der BW-Ärzte lief ich dann förmlich zur Höchstform auf. Hier tut es weh, da zwickt es, und ach der Sportunfall vor zwei Jahren... schlimme Sache. Das Knie und der Fuß und, und, und. Am Ende meines Auftritts hatte ich so einige Vergünstigungen. Kein Marsch über siebeneinhalb Kilometer, einen 'Fünf-Kilo-Schein' d.h. mein Marschgepäck durfte nicht schwerer sein als 5 Kilo und Sport nach eigenem Ermessen. Ich musste mich wirklich zusammenreißen um nicht im Warteraum in lautes Gelächter zu verfallen. Einen Haken hatte die Sache allerdings. Ich wurde als "Vermindert Wehrtauglich" (T7) eingestuft und nach Koblenz in die Gneisenau-Kaserne versetzt.
Die ganze Kompanie dort bestand nur aus Chaoten. Alles als "Vermindert Wehrtauglich" eingestufte Rekruten. Na ja, nicht Alle waren so "vermindert", wie ich anfangs dachte. Vielleicht 40% waren Schauspieler wie ich, was mich schon überrascht hat. Die Grundausbildung lässt sich mit wenigen Worten beschreiben: 14 Stunden Dienst, wenig Schlaf aber der absolute Gipfel war unser Biwak (Gefechtsführung unter freiem Himmel).
Wir sind von der Kaserne in ein kleines Waldstück marschiert, was zu unserem Truppenübungsplatz gehörte und bauten da unser Lager auf. Wir gruben ein Feuerloch, und unsere Stellungen aus, montierten ein Alarmsystem (ein Eimer mit Stein an einer Schnur, die zur Alarmstellung führte) schlugen unsere Zelte auf und verbrachten 3 Tage im Freien. ALARM !!! Der Eimer wackelte im Geäst, der Stein klapperte darin herum und Jeder sprang auf und stolperte lautstark durch den Wald zu seiner Stellung. Ja... nur welche Stellung war von wem...? Es folgte ein heilloses Durcheinander. Unser Ausbilder schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Wenn wirklich Krieg wäre, hätte uns der Feind sofort ausmachen und ausbomben können, so laut, wie wir waren. Schlussendlich mussten wir den Weg üben, der zu unseren Stellungen führte, damit sich ein solches Chaos nicht noch einmal wiederholte. Es wurde langsam finster, es wurde Nacht. ALARM !!! Na ja... wir hatten ja geübt. Zehn Schritte gerade aus, rechts sieben Schritte bis zu... * scherbel * ja, genau Baum, dann links und noch mal sechs Schritte. Ich kroch zu meiner Stellung und bemerkte zwei Paar Stiefel. " Hey... wer liegt denn hier..?"flüsterte ich. "Barthel" erhielt ich als Antwort. Stimmt, der lag neben mir in der Stellung. "Und Du? Wer bist Du?" fauchte ich den Anderen an. "Kaufmann", "Toll Kaufmann, Deine Stellung ist zwei weiter nach Links" Kamerad Kaufmann verließ kurzerhand die Stellung und ich schob mich an Barthel vorbei, klemmte die Knarre unters Kinn und zielte auf die feindlichen Linien. Kurze Zeit später wurde der Alarm aufgehoben und wir kehrten ins Lager zurück - bis auf Kamerad Kaufmann, der kam etwa drei Minuten später aus dem Wald.
Wir wuchsen in der Zeit zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammen, bereit für jeden Einzelnen Alles zu geben. Je näher das Ende unserer Grundausbildung rückte, umso ruhiger und nachdenklich wurde jeder. Wohlwissend, dass man sich nie wieder sehen wird, wenn der letzte Tag gekommen ist und jeder seine Heimreise antritt, da wir alle aus den verschiedensten Teilen des Landes kamen. Nach der Grundausbildung wurde ich zurück in die Kaserne in Bad Salzungen versetzt und kam in die Panzerpionier-Kompanie.
Schwerste organisatorische Aufgaben wurden mir dort aufgetragen. Kaffeekochen... kein Witz! Ich war in der Offiziersmesse für das leibliche Wohl der Offiziere und Unteroffiziere zuständig. Kaffeekochen, Brötchen schmieren, Feiern organisieren und Alles, was noch dazu gehört, wie Aufwaschen, Wischen etc. Schon eine schöne Sache im Warmen zu Sitzen und die Anderen durch'n Dreck kriechen zu sehen.
Ich weiß gar nicht mehr, wie er hieß, aber da war einer in unserer Kaserne, der war total schräg drauf. Stürzte auf Mittelaltermärkten herum (zugegeben, mache ich auch des öfteren) und zog sich hin und wieder wie ein Wikinger an und fuhr so von der Kaserne nach Hause. Wie ich an den geraten bin? Sagen wir mal so, er ist an mich geraten. Er sprach mich am Bahnhof an, ob ich nicht einmal Feuer hätte. So setzte er sich bei mir fest und textete mich zu. Ich wollte wegrennen, tat es aber nicht, vielleicht aus Anstand. Jeder, der an uns vorüber ging, schaute erst diesen Wickinger an und dann mich, wäre ich doch im Erdboden verschwunden. Etwas Gutes hatte es aber, diesen "Wikinger" zu kennen. Er machte mich mit Daniel bekannt, einen ruhigen, netten, jungen Mann Anfang 20. Es brauchte keine großen Worte, denn das Fundament unserer Freundschaft bestand aus einem Brett, 40 mal 40 cm mit je 32 schwarzen und 32 weißen Feldern und 32 Figuren - Schach. Wir haben fast jeden Tag zusammen gespielt und er konnte verdammt gut spielen. Unsere erste Partie dauerte nicht einmal zehn Minuten und ich war 'Schach Matt'. Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen und forderte Revanche. Die habe ich auch verloren, dutzende Male. Aber mit der Zeit wurden unsere Spiele immer länger, eine halbe Stunde, eine ganze, manchmal sogar zweieinhalbe Stunden. Gegen Ende meiner Dienstzeit kam dann der Tag, an dem ich meinen großen Triumph feiern konnte, mein erster Sieg. Daniel hat sich unermüdlich mit mir einen Gegner geschaffen, den er nicht länger besiegen konnte. Es war ein Sieg mit dem bitteren Beigeschmack des Abschiedes, denn kurze Zeit später endete meine Dienstzeit und ich verließ die Kaserne. Ich habe Daniels Telefonnummer und wir haben auch ein paar mal telefoniert, doch ist seit einigen Jahren der Kontakt abgerissen und seine Nummer ist... wie sagte die gute Frau "nicht vergeben". Alles was mir geblieben ist, sind Erinnerungen und eine Tafel in der 'Halle der verlorenen Seelen'.
Ich kann nur sagen, dass ich diese Zeit genossen habe. Wie sagt man so schön: Es ist eine Erfahrung, die man gemacht haben sollte, aber nicht ein zweites Mal.